Negativ-Wertschätzung ist Kränkung – und passiert zunehmend am Arbeitsplatz
Gegenspieler der Wertschätzung treten ganz perfide auf. Da hätten wir erstmal die Nichtbeachtung. Der folgt die Missachtung. Untermauert werden kann dies noch durch demonstrierte Unzufriedenheit. Man spürt, wie das Klima kälter wird und man sich nicht mehr so wohl fühlt. Dann folgt die Entwertung. Das trifft ins Herz und Seele. Diffamierung, Beleidigungen finden bis zur Kränkung ihre negative Fortsetzung. Die Stufe der Verachtung wird erreicht. Ironie kommt ins Spiel oder man fährt gleich schwerere Geschütze auf, um jemandem den Rest seiner Würde zu nehmen. Zynismus und Sarkasmus. Nun ist man der psychischen Vernichtung machtlos ausgesetzt. Und dann wird das Ass aus dem Ärmel gezogen, dass einen zum Nichts werden lässt. Schweigen. Als Professor Haller diese Negativspirale aufzeigte, fühlte ich mich als Kind im Wohnzimmer meiner Eltern angekommen. Mein Vater hat dieses Vorgehen bis zur Perfektion beherrscht und alles in seiner Umgebung klein und minderwertig gemacht. Meine Mutter wurde depressiv. Meine Schwester hat zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Ich habe ihm die Stirn geboten. Heute erkenne ich diese Muster schnell und kann Betroffenen helfen. So ist das Schlechte noch für etwas Gut.
Kleinigkeiten oder Kränkung
Für den Aussenstehenden sind es oft „Kleinigkeiten“, die einen Menschen in die Verzweiflung stürzen. Mal nicht beachtet werden, mal vergessen werden, mal eine dumme Bemerkung, mal dies, mal das. Was dieses „mal“ in einem auslöst, kann ein Außenstehender kaum begreifen. Was für mich eine Kränkung bedeutet, ist für den anderen vielleicht nicht mal einen Gedanken wert. Ich habe die Geschichte erzählt, die Prof. Haller bei der Salvus Verleihung letzte Woche in Götzis erzählte. Ein Mann kam zu ihm, gut situiert, sicherer Job, Familie, Häuschen – also eigentlich bestens. Er wollte sich das Leben nehmen, weil er bei einer Bonusausschüttung schlicht vergessen wurde. Er fühlte sich nichts wert. 20 Jahre für den Arbeitgeber aufgeopfert und dann vergessen. Er empfand dies als Kränkung, Schande, Versagen… und konnte sich nur nicht entscheiden, ob vor den Zug oder ins Wasser. Sein Psychologe konnte ihn überzeugen, dass keines von beiden eine Lösung sei und rettete den Mann.
Es gibt viele solche Kleinigkeiten, die Menschen in die Verzweiflung treiben. denn Kleinigkeiten haben die Tendenz, sich zu kumulieren. Und irgendeine Kleinigkeit ist dann der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt.
Wenn der Mitarbeitende sich als Mensch entmündigt fühlt
Letztens hatte ich auch so ein Erlebnis. Ein Mitarbeiter (MA) 20 Jahre in einem Unternehmen, immer top performed bekommt einen neuen Vorgesetzten und der beurteilt ihn nach drei Monaten für ein ganzes Jahr mit „Leistung unzureichend“. Im Mediations-Gespräch versuchte der Vorgesetzte seinen MA zu beschwichtigen, das sei doch nicht so schlimm. Es sei nur eine Momentaufnahme. Und in den letzten Wochen arbeite man doch hervorragend zusammen.
Der MA hochemotional fühlte sich nun nicht nur verletzt, sondern auch noch entmündigt. Wie kann der Vorgesetzte sich über seine Gefühle herablassend hinwegsetzen? Zudem verwahrte sich der Vorgesetzte, sein Tun zu reflektieren und beharrte auf seiner Beurteilung.Obwohl nachgewiesen werden konnte, dass den MA an einer der Beurteilung zugrunde liegenden Sache keine Schuld habe. In dem Gespräch konnte keine Wendung herbeigeführt werden, was zusätzlich sehr unbefriedigend für alle war. Gefühlt halbherzig einigte man sich auf bessere Kommunikation der jeweiligen Erwartungen und beteuerte seitens vorgesetztem, wie wichtig der MA mit seinem Wissen ist. Doch keiner traute sich zu fragen, wie es dem MA geht. Und es war wieder einmal ein Beispiel dafür, dass teure Kurse keine gute Führung bedeuten. Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht, die auf den Tisch gemusst hätten, um die Gewitterwolken zu vertreiben. Man hat zwar ständig beteuert, den MA treffe keine Schuld, und trotzdem würde man die Beurteilung nicht revidieren. So wird der nächste Schritt Eskalation sein.
Kränkung zieht Kündigung nach sich
Dass sich der MA als Sündenbock fühlt ist nachvollziehbar. Mir gegenüber hat er mir nach dem Gespräch gesagt, dass es für ihn nur einen Weg gebe. Nämlich: zu gehen. Das Unternehmen wird also einen wertvollen MA und Expertenwissen verlieren. Und dies, weil eine schwache Führungskraft unfähig ist, eine Leistung anzuerkennen und für eine Situation Verantwortung zu übernehmen. In diesem speziellen Fall verhielt sich die Vor-Vorgesetzte Person keinen Deut besser. Und auch die Rolle der Personalabteilung wirkte gespalten. Auf oberer Ebene war etwas gehörig schiefgegangen und ein Bauernopfer muss her. Als der MA mich zu Rate zog war er bereits über ein halbes Jahr zermürbt worden. Die Gründe, die angeführt wurden, rechtfertigten es jedenfalls nicht, dem MA eine schlechte Beurteilung zu verpassen. Leider kein Einzelfall.
Selbstwert stärkt Selbst-Wert
In Prof. Hallers Vortrag wurde mir dann klar, dass diese Vorgesetzten Mangel an Selbstwert haben müssen. Nur Menschen, die ihren Selbstwert erkennen und leben, können andere wertschätzen. Ihr Selbstwert stärkt Selbst-Wert. Solche Menschen sind stark und charismatisch, denn sie tauschen Energien aus. D.h. durch ihre Stärke und wertschätzende Art geben sie anderen Menschen Energie und erneuern ihre eigene. Es kommt daher selten zu Energieverlust und macht sie sympathisch.
Aufmerksamkeit-Beachtet werden-Achtsamkeit-Respekt-Anerkennung-Vertrauen
Die Kaskade, die sich fast jeder wünscht und doch so selten gelebt wird – sonst gebe es viel weniger psychische Erkrankungen – geht von Aufmerksamkeit und Beachtet werden über Achtsamkeit (in Anlehnung an den Buddhismus und erklärte Zukunft, was gewünschte Fähigkeiten, die Arbeitgeber suchen, angeht) Respekt und Achtung, Anerkennung in Form von positiv empfundener Zuwendung über Wertschätzung hin zu Vertrauen und letztlich Liebe. In Zukunft wird es immer wichtiger, sich vor Augen zu führen, was schon eigentlich immer gegolten hat und nichts Neues ist: Den Augenblick beachten, geniessen, empfinden, leben. Heute – hier und jetzt! Das Vergangene ist wichtig für die Zukunft, aber sie bestimmt nicht den Tag!
Selbstwert, Respekt und gesunder Menschenverstand sind nach wie vor der Schlüssel zum Glück
Haller sprach sich gegen Motivationstrainings und teure Kurse aus, denn es seien einfache Lösungen gefragt und weniger Theorien. Selbstwert, Respekt und gesunder Menschenverstand sind nach wie vor der Schlüssel zum Glück.
Missachtung und Nicht-Beachtung auf dem Vormarsch
Was jedoch immer häufiger passiert und die Krankheitstage durch psychische Erkrankungen nach oben treibt und auch weitertreiben wird, sind Nicht- oder Missachtung. Sowie demonstrierte Unzufriedenheit, Entwertung, Diffamierung, Beleidigung und Kränkung. Wobei es für Kränkung in der ganzen Literatur keine greifbare Definition gibt. Steigerungsformen der vorgenannten Verhaltensformen sind sadistische Elemente, wie Verachtung. Ironie hat, wenn man sich selbst miteinbezieht, noch einen eher charmanten Charakter, wobei Zynismus («hundsgemeines» Verhalten) und Sarkasmus («zerfleischen») ganz eindeutig herabsetzende und vermeintlich sich selbst erhöhende Wirkung als Absicht verfolgen.
Der Einäugige ist König unter den Blinden – Minderwert kaschieren
Allem gemeinsam ist eine Art Selbstschutz für Menschen mit mangelndem Selbstwert, die ihre Minderwertigkeit dadurch kaschieren. Um ein Bild zu gestalten, könnte man sagen, der Einäugige scharrt Blinde um sich, um immer noch besser da zu stehen. Sehr oft wird über Unternehmen mit schlechtem Betriebsklima gesagt, dass sich schlechte Chefs (also, die die nicht anerkennen können) schwache Mitarbeitende suchen.
Machen wir den Unterschied – Respektieren wir den Menschen
Haller stellte die wichtigsten Faktoren für ein gesundes Miteinander in einer gesunden Firma wie folgt dar: An erster Stelle komme das Team und das Klima, an zweiter Stelle die Aufgabe und erst dann so Sachen, wie Worklifebalance/Wellbeing, Gehalt etc. Es ist das Wie des Umgangs mit den Menschen als Mitarbeitende, was den Unterschied macht.
Wertschätzung kann Wunder bewirken
Haller nennt es das Wunder der Wertschätzung und sagt, Wertschätzung kann Wunder bewirken. Ein nettes Wort ist wie ein Sonnenstrahl aus einem Himmel voller Wolken. Und auch, wenn man Kränkungen nicht vermeiden kann, sollten Achtsamkeit und Toleranz bestimmend sein. Eine Kränkung entsteht bei dem anderen. Es kann also kein Verhalten geben, dass dies ausschliesst. Dessen muss man sich bewusst sein. Es kann die Stimme, das Lachen, die Kleidung, die Herkunft – egal was – jemanden kränken, der ein anderes Wertegefühl hat. Vielleicht kann man auch sagen, ein Sympathie- oder Antipathiefaktor.
Aber man kann aktive Kränkung, bewusstes Herabsetzen vermeiden. Der Mensch ist nachweislich ein Liebes- und Lob-bedürftiges Wesen. Dies dem Menschen angedeihen zu lassen setzt emotionale Kompetenz voraus. Und dies wiederum Selbstwert. Menschen die diese Voraussetzung nicht haben, mitbringen oder gewillt sind an ihr zu arbeiten und sich selbst zu reflektieren, sollten keine soziale Verantwortung übernehmen, daher auch keine Führungsaufgaben übernehmen. Haller umschreibt kurz, dass die Empathie die Software und die Würde die Hardware in diesem Kontext sein. Wobei der Begriff Empathie mit Vorsicht zu geniessen sei. Denn auch Serientäter hätten Empathie an dem, was sie tun.
Vielen Dank für diesen nachdenklich machenden und anregenden Vortrag!