Herz, Schmerz … Warnschuss

Herz aus dem Takt

Eine gute Freundin besuchte mich letztens und ich dachte bei mir, Mädel du bist alt geworden. In Erinnerung hatte ich sie als Energiebündel, immer gut drauf und durch nichts aus der Bahn zu werfen. Und jetzt – grau.

Haut, Haar und Seele. Ich durchdachte alle Krankheitsgespenster, die  uns Frauen nach den Wechseljahren, so um die 60, erwischen können, um vorbereitet zu sein.

Krebs steht dabei ganz oben. Sie wäre nicht die erste meiner Freundinnen, die an Brust- oder Eierstockskrebs erkrankt und gestorben wäre.

Nein, lachte sie müde, Krebs sei es nicht. Es sei das Herz. Das stolpere vor sich hin. Es habe ein paar Ereignisse im beruflichen wie familiären Bereich gegeben, die ihr aus vollem Lauf den Boden unter den Füssen weggezogen hätten. Mit der Folge von Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen. Unspezifisch und unbeachtet, zu lange. Sie sagte, die Kopfschmerzen seien zuletzt unerträglich geworden. Schon morgens beim Aufstehen, später dann abends und morgens, ganztags.  Dass das Herz Probleme machen könne, daran habe sie nicht einmal gedacht.

Seit knapp 45 Jahren im Berufsleben, immer Volldampf. Da lerne man zu Ignorieren. Und das geht bis zum gewissen Grad. Denn schon morgens ist der Tag bereits eng getaktet. Kaffee, ab aufs Rad und zur Arbeit. Abends aufs Rad und ab nach Hause, dazwischen ein Power-Job der eigentlich drei Jobs hätte sein können. Egal das packe sie, hat sie immer gepackt.

Nicht ans Herz gedacht

Dann kamen Schwindel, Schweissausbrüche, das Gefühl ohnmächtig dahinzusinken, und das dagegen ankämpfen, die Schmerzen in der Herzgegend. Bestimmt nicht genug getrunken, das wird schon wieder. Die Unruhe, Schwitzen, auch mal aus der Puste beim Treppensteigen – aha kenne sie, mal wieder ein Schub Wechseljahre.

Abends kaum daheim angekommen im Sitzen mal so eben für eine Stunde weggepennt. Ist ja klar, wer um 5:30 aufsteht ist auch früher müde. Erst der anwachsende Schmerz im linken Arm habe sie unruhig werden lassen. Der Druck auf dem Brustkorb fühlte sich nicht normal an. Machte Angst, eine ganz besondere Art von Angst. Todesangst.

Die Übelkeit holte sich noch Unterbauchschmerzen dazu und dann hat es nur noch ein Ereignis gebraucht, um den ganzen Organismus lahmzulegen. Und das Ereignis kam. An einem wunderbaren Montagmorgen. Früh raus wie immer, für den Tag packen, Blick nach draussen, statt angesagtem Regen, trocken, also keine Regenklamotten fürs Rad. Und ab zur ersten Etappe des Tages: Physiotherapie. Weiter zum Job. Schreibtisch richten, Tee aufsetzen. Laptop gestartet. Die Woche kann kommen. Um 9 Uhr war die Woche vorbei (und auch die nächsten). Es war nur ein Satz in einem Email. Ein Satz, der ein Fass zum Überlaufen gebracht hat, dass sich über Monate stetig gefüllt hatte. Eine Bluthochdruckspitze, ein Arztbesuch und jetzt – aus dem Verkehr gezogen. Auf unbestimmte Zeit.

Sie sei so unter Schock gestanden, dass sie noch ihre Sachen zusammenpacken, aufs Rad steigen konnte und wie betäubt nach Hause radelte. Ihren Mann hatte sie vorab noch schnell informiert, und der erwartete sie dann auch besorgt. Noch besorgter habe es ihn gemacht, als sie freiwillig gleich einen Termin beim Arzt machte und auch sofort kommen durfte.

Kurz gesagt. Meine vitale Freundin, die nie etwas erschüttern konnte, wurde mit einer stressbedingten Kardiomyopathie diagnostiziert. Bluthochdruckspitzen, die verantwortlich für die ganzen Begleiterscheinungen waren, und die sich langsam schleichend aufgebaut haben. Frauen ab 60 sind prädestinierte „Opfer“. Der Schutz des Herzens durch das Östrogen, ist während der Menopause weggebröckelt, und liefert das Herz schutzlos den Stressfaktoren, dem Leben aus.

Aus vollem Lauf gestoppt…

… stimmt auch nicht ganz, denn der volle Lauf wurde schon im Laufe dieses Jahres langsamer, die Anzeichen mehrten sich, kürzer zu treten. Wer aber ein Meister im Ausblenden dieser Signale ist, den überrascht dann eine solche Herzattacke, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Diese Kardiomyopathie ist noch ein Glücksfall in der Palette der Herzkrankheiten, denn es kommt nicht wie beim Herzinfarkt zu Gewebeschädigungen am Herzen. Das Herz kann bei wieder normaler Blutdrucksituation seinen unermüdlichen Dienst vollbringen. Trotzdem ist der übers Mass hinausschiessende Blutdruck eine Gefahr für Hirn, Gefässe, und Nieren. Alles wichtige Teile im Körper. Deshalb ist jetzt absolute Ruhe nötig. Kein Stress, keine Aufregung.

Von 200 auf Null

Die Vollbremsung des Lebens ohne Bremsspuren? Ganz sicher nicht. Meine Freundin leidet jetzt unter dem „Nichtstun“. Ihre Ärztin hatte ihr das prognostiziert. Die ersten Wochen werden furchtbar. Sich selbst zu entschleunigen und eine neue herzverträgliche Grundgeschwindigkeit für sich zu finden, ist für besonders aktive und im Leben stehenden Menschen, ebenfalls eine stressige Angelegenheit.

Raus aus der Abwärtsspirale

Es führt aber kein anderer Weg aus der angetretenen Abwärtsspirale. Die Ärztin machte noch ein plakatives Beispiel. Sie malte eine Linie und zeichnete eine 0 an das eine Ende und eine 80 an das andere. Der Strich bei der gedachten 60 zeigte deutlich, auf wie viele Jahre man bereits zurückschauen kann und was noch kommt und was von, was noch kommt lebenswerte Lebensqualität zu erwarten ist. Das sass, sagte mir meine Freundin. Wenn jetzt schon gesundheitliche Probleme auftreten, so werden die mit den kommenden Jahren nicht besser und Herzinfarkt oder Hirnschlag können von jetzt auf eben, diese verbleibenden Jahre weiter verkürzen.

Meine Freundin überlegt jetzt, wie sie sich Lebensqualität bewahren kann, denn auch wenn sie gern sagt, sie habe sich fürs Alter nichts aufgespart, was sie unbedingt noch machen möchte, sondern jeden Tag „gelebt“.  Die Ärztin hat ihr als Hausaufgabe mitgegeben zu überlegen, was ihr Spass macht und hierauf den Fokus zu legen. Gearbeitet habe sie genug und sie solle sich ausrechnen, ob sich eine Ruhestandsregelung ausgehen würde.

Ich fragte sie, ob sie das nicht schockiert hat. Hatte sie doch immer gesagt, arbeiten so lange sie was bewegen kann, denn zu Hause sitzen und einrosten, dass war nie der Plan. Nein sagte sie, wer einmal so einen vernichtenden Schmerz in der Brust verspürt hat, wie sie, der beginnt da schon mit dem Umdenken.

Abstand gewinnen

Und wie weiter? Sie sei jetzt erstmal für die nächsten Wochen aus dem Verkehr gezogen und sich selbst überlassen. Nachdenken, spazieren gehen, schöne Dinge tun, runterkommen, Abstand gewinnen und sich mit dem Altwerden anfreunden.

Unbeschwertheit zurückgewinnen

Schon einen Plan? Nein sagt sie, und dann, doch einen habe sie schon. Den Druck aus dem Schädel loswerden, die Ohrgeräusche ignorieren lernen und die Bluthochdruckspitzen reduzieren. Und dann mal die Szenarien „Pension“ mit 63 durchrechnen. Grösster Wunsch sagte sie, sie möchte ihre Unbeschwertheit zurückhaben. Unbeschwertheit… dachte immer, sie sei die personifizierte Unbeschwertheit. Wie man sich in jemandem täuschen kann.

Wenn du kein Ziel definierst, kannst du den Weg nicht finden

… aber wenn dir deine Ziele durch andere immer und immer wieder genommen werden, dann bist zu bereits auf Wegen unterwegs und musst umkehren oder neue Wege finden.

Krafträuber

Professionell jeden Schlag einstecken und Druck nicht mit Gegendruck beantworten kostet Energie. Energie, die im Alter schneller aufgebraucht ist. Und gepaart mit der häufiger auftretenden Frage an sich selbst „Warum tue ich mir das eigentlich an“. Du steckst dir Ziele und kannst sie nicht erfüllen – das ermüdet. Wenn du  weisst, dass die Ziele richtig sind und jemand, der keine Ahnung hat, aber das Sagen, es anders will, dann macht dich das verrückt. Man muss wissen, wann es keinen Sinn mehr macht zu kämpfen. Dies wird aber verknüpft mit – ich gebe nicht auf – weiterkämpfen… oder doch gehen… nein, du kannst die Kollegen nicht im Stich lassen, deine guten Ideen werden sicher noch erkannt und dann geht es vorwärts… Es ist der nie endende Weg bei der Suche nach dem Goldtopf am Ende des Regenbogens.

Warnschuss

Ab 50 aber hältst du gern an dem fest, was du hast, weil der Arbeitsmarkt nicht wirklich auf dich wartet, mit 60 wird auch das nicht besser. Es heisst zwar immer man habe Erfahrung und das sei wichtig, letztlich ist das aber ein Trugschluss, wie viele meiner KollegInnen im Rahmen von Jobverlust infolge Reorganisationen erleben durften. Also besser Zähne zusammenbeissen, Kröten schlucken, Augen zu und durch… bis der Körper den Stecker zieht. Manchmal endgültig, manchmal als Warnschuss.

Meine Freundin ist happy, dass es kein Krebs ist. Puuuh, das wäre noch härter zu verkraften gewesen, sagt sie. Sie ist ein disziplinierter Typ – das Herz wird es gut haben, da bin ich mir sicher. Und sie wird auch wieder neuen Mut fassen und Entscheidungen treffen, alles andere würde nicht sie sein.

Welche Rolle spiele ich dabei: Ich bin Freundin, das Kissen zum Ausheulen, bereit für Blödsinn und Kaffeepause, Partnerin für Outdoor-Aktivitäten oder den Plauderabend via Skype mit gemeinsamem Abendessen vorm Bildschirm. Durch dick und dünn – wie es so schön heisst.

Es geht voran

14 Tage später und mittels DEBEC (ich konnte es nicht lassen, die Methode mit ihr auszuprobieren) konnten schon Erfolge erzielt werden:

  • Blutdruckspitzen sind immer noch an der Tagesordnung und unberechenbar
  • Kopfschmerzen mal mehr, mal weniger
  • Druck auf der Brust – wenig bis weg
  • Kurzatmigkeit – sehr selten
  • Tinnitus – lästig, lästig, lästig
  • Übelkeit – es gibt lange beschwerdefreie Zeiten
  • Schwindel – unberechenbar, aber weniger als in der akuten, erste Woche
  • Bauchschmerzen – wenig bis weg
  • Müdigkeit – ein ständiger Begleiter… Vormittagsschläfchen, Nachmittagsschläfchen

Im Einzelnen

  • Diagnostik: vom Arzt erledigt und ergänzt durch regelmässiges Blutdruckmessen, Medikamente
  • (Herz gesunde) Ernährung: Gemüse, Tee, Suppen, Salate – fettarm, ballaststoffreich, frisch
  • Bewegung: täglicher Spaziergang, mindestens eine halbe Stunde, Gymnastikeinheiten
  • Entspannung: wann immer der Körper will – hinlegen, schlafen, dösen, lesen, schreiben etc. – es darf nur nichts aufregen
  • Coaching: bei Bedarf und in aller Freundschaft, Coaching kann gerade in der Phase des „zu sich selber findens“ und des „die Weichen des Lebens neu stellen“ nervig sein.

Buchempfehlung: Je älter desto besser. Autoren Prof. Pöppel, Dr. Wagner